Die Privatisierung von Demokratie, Solidarität und Freiheit
Große
Vermögen bestehen üblicherweise zu hundert Prozent aus Kapitalerträgen, das
heißt Zinseinnahmen, die ohne eigene Leistung erzielt werden. Aber Zinsen
fallen nicht vom Himmel, sondern müssen von allen anderen erarbeitet und
gezahlt werden, auch wenn sie keine eigenen Schulden haben. Mehr noch. Während
jeder kleine Arbeiter oder Angestellte von seinem kleinen Lohn Sozialabgaben an
den Staat abtreten muss, sind Kapitalerträge auch von solchen Abgaben befreit.
Auf diese eigentlich doppelt skandalöse Art und Weise wird auf der einen Seite
immer mehr Geld zu immer mehr Geld gehäuft und auf der anderen Seite immer mehr
Mangel erzeugt. Die Folge sind immense Schulden von Bund, Kantonen und
Gemeinden, kleinen Unternehmen und „kleinen“ Leuten.
Damit befindet sich aber die
wirtschaftliche Realität einer absoluten Mehrheit der Schweizer Bürger
außerhalb der von der Verfassung vorgegebenen Grundrechte wie Freiheitsrecht,
Gleichheitsgrundsatz, Eigentumsrecht und Sozialstaatlichkeit.
Wie ist das möglich? Einfach so: Der
Gesetzgeber hat das Geldsystem nie problematisiert und nie zum Gegenstand
demokratischer Untersuchung und Entscheidung gemacht. Trotzdem nennt sich unser
Staat demokratisch. Trotzdem steht in der Präambel zur Bundesverfassung der
Schweizer Eidgenossenschaft, „dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der
Schwachen.“ Da muss jemand die Feder geführt haben, der nichts von den
wirklichen Wirkmechanismen des Geldes versteht. Und also auch nichts davon, wie
die Geldmacht mit ihren Privatisierungsansprüchen die Staatsmacht aushöhlt und
ablöst.
Denn immer mehr weicht die
sprichwörtliche eidgenössische Solidarität mit den Schwächeren einer
neoliberalen Diktatur der Stärkeren, die nicht nur staatliche Leistungsbereiche
privatisieren wollen, sondern auch die Entscheidungswege dahin. Dazu braucht
man die Medien.
Mit der Konzentration des Kapitals
wächst auch die Konzentration in der Wirtschaft. In allen Branchen entstehen
immer größere Gebilde, deren Lobby nicht nur extern, sondern auch intern auf
subtile Art und Weise Interessen schützt und durchsetzt. So auch bei den
Medien, die selbst immer mehr zu einer
neoliberalen Bewusstseins-Industrie umgezüchtet werden.
Welcher Redakteur einer großen Zeitung
könnte es sich leisten, einmal den Zusammenhang zwischen Zins, Reichtum,
Wachstumszwang, Arbeitslosigkeit und Armut so zu thematisieren, dass es
verständlich ist für Leser, die darüber noch nie etwas gehört oder gelesen
haben?
Aber wir haben doch „Pressefreiheit“ und
„Meinungsvielfalt“, oder? Und da wird doch über alles berichtet, oder?
Natürlich steht viel über Wachstum hier und Arbeitslosigkeit da und
Staatsschulden dort zu lesen. Aber dem Leser werden nie die Zusammenhänge
erklärt. Stattdessen wird er mit möglichst vielen „wissenschaftlich“ anmutenden
Details überfordert, so dass er sein Unverständnis seiner eigenen Unfähigkeit
zuschreibt und abschaltet. Das ist der eine Teil der „Pressefreiheit.“ Der andere ist leiser, da wird nur
geschwiegen.
Wenn zum Beispiel ein großer Buchverlag
plötzlich einen Titel herausbringt, in dem die bösen Streiche der
Pharma-Industrie akribisch recherchiert nachgewiesen werden, dann findet man in
den großen Konzern-Medien nicht eine einzige Rezension über dieses Buch. Ein
Redakteur, der trotzdem so etwas versuchen wollte, wird entweder unbegründet
gebremst oder aus ganz anderen Gründen gekündigt.
So pflegen Industriekonzerne,
Medienkonzerne, Universitäten, Institutionen, Berufsverbände, Parteien und
Personen mit verstehendem Nicken oder bei Bedarf mit harten Bandagen ihre
gemeinsamen Interessen und Pfründe und Profite auf Kosten auch der Pressefreiheit
und damit der demokratischen Freiheit.
Auch in den Wirtschaftswissenschaften
ist es üblich und aus vielerlei Gründen persönlich dienlich, das Geld zwar
akribisch zu „analysieren,“ nicht aber seine verheerende Wirkweise zu
thematisieren. Und so verlassen immer wieder neue Wirtschaftswissenschaftler
die Universitäten mit den alten, ehernen Glaubenssätzen, zu denen auch die Unantastbarkeit
des Zinses gehört.
Tieferes Wissen über das Geld fehlt in der Allgemeinbildung des Schweizer Bürgers ebenso wie in den Bildungsplänen der Schulen. Dorthin werden aber „Schuldenberater“ geschickt, um die Folgen der neoliberalen Indoktrinierung junger „Zielgruppen“ zu bearbeiten. So wird durch reine Symptombearbeitung die Illusion von Freiheit genährt. So wird mit der halben Freiheit die ganze Freiheit ausgehebelt, wie sie in der Präambel zur Bundesverfassung der Schweizer Eidgenossenschaft gemeint ist. Dort steht
nämlich auch, „dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht.“